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Arbeitsrecht im Betrieb (AiB), Ausgabe 07-08/2012
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Version vom 13. Januar 2015, 15:47 Uhr

Arbeitsrecht im Betrieb (AiB), Ausgabe 07-08/2012

Burnout

Wie können Betriebsräte jetzt direkt im Betrieb helfen?

Stephan Siemens / Wolfgang Trittin

Burnout breitet sich aus und ist eine gesellschaftliche Erscheinung geworden. Die Ursachen jedoch liegen allgemein betrachtet weder in dem Versagen von Einzelnen noch in der technologischen Entwicklung, sondern an einer ganz besonderen Art von Arbeitsdruck, in der Veränderung der Arbeits-Organisationsformen und der mit ihr verbundenen emotionalen Erschöpfung. Dort muss die gewerkschaftliche Auseinandersetzung und Prävention ansetzen – auf diese Weise erhalten Betriebsräte effektive Mittel, um den Auswirkungen zu begegnen. Die Autoren empfehlen den Einsatz betrieblicher Experten.

Die bisher zur Bekämpfung von Burnout empfohlenen Antworten und Strategien beschränken sich meist auf individuelle Maßnahmen oder Management-Initiativen. Populär sind in den Medien Ratschläge für Betroffene, sich in ärztlich-psychologische Betreuung zu begeben, den Job zu wechseln oder Entspannungstechniken zu erlernen. Die meisten dieser Maßnahmen oder Ratschläge vermitteln jedoch den Eindruck, dass sie an einem grundlegenden Problem kranken: Sie setzen nicht an der Ursache an.

Denn gestattet sei die Frage: Wenn jeder oder jede Beschäftigte Entspannungstechniken erlernt hat, wird Burnout dann verschwunden sein? Wohl kaum. Denn wer die „Work-Life-Balance“ erreicht hat, wird feststellen, dass sich der Druck in der Arbeit weiter verschärft. Es entsteht ein Wettlauf, den die einzelnen Beschäftigten nur verlieren können. Denn die Arbeit bis zur Erschöpfung ist ein gesellschaftliches Problem, ihre Ursachen liegen in der sich ändernden Organisation von Arbeit. Daher brauchen wir eine eigenständige Antwort der Betriebsräte und Gewerkschaften auf Burnout.

Mögliche Problemlösungen

Eine wirkliche Problemlösung ist nicht durch Appelle an die Führungskräfte zu erwarten, die individuelle Arbeitsbelastung möglichst zu verringern. Viele Betriebsräte verlangen von den Führungskräften Initiativen gegen Burnout. Doch diese weisen den Appell oft zurück mit dem Hinweis, nicht sie seien dafür verantwortlich, sondern jeder einzelne Beschäftigte für sich allein. Ihre Aufgabe bestehe vielmehr darin, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter produktiv im Sinne des Unternehmens sind. Eine echte Entlastung der Beschäftigten ist also von Führungskräften nicht zu erwarten.

Individuelle Maßnahmen gegen Burnout sind grundsätzlich zu begrüßen und werden in vielen Unternehmen – auch auf Initiative der Betriebsräte – unterstützt und angeboten. Aber es zeigt sich, dass auch Betriebsräte, die ihre Unternehmen in dieser Hinsicht als „gut aufgestellt“ empfinden, Bedenken haben, ob sich Burnout mit diesen Maßnahmen tatsächlich einschränken lässt. Meistens halten auch sie weitere Maßnahmen für notwendig, die sich mit der Organisation der Produktion auseinandersetzen. Aber solche sind – so scheint es – nur schwer durchzusetzen. Nicht nur die Arbeitgeber, auch die Beschäftigten zögern, weil sich nach ihrem Eindruck der Betriebsrat in Dinge einmische, die ihn nichts angehen.

Wir empfehlen daher, einen Mechanismus in Gang zu setzen, der es den Beschäftigten ermöglicht, sich in der alltäglichen Arbeit mit der Gefahr von Burnout auseinanderzusetzen. Dazu ist es kurz erforderlich, auf die betrieblichen und gesellschaftlichen Ursachen von Burnout einzugehen.

Was ist Burnout?

Definition: Burnout ist ein schleichender – meist unbewusst verlaufender – Prozess des Verlusts der Energie mit drei Grundmerkmalen:

- Emotionale Erschöpfung mit angegliederter geistiger und körperlicher Erschöpfung
- „Depersonalisierung“, worunter die Unfähigkeit zu verstehen ist, andere Beschäftigte  als Individuen zu
  behandeln und sie nur  noch als Belastung (z.B. „Bittsteller“, „Energiefresser“) zu empfinden. Eine zweite 
  Seite dieser Depersonalisierung ist ein dauerhaft zynisches Verhältnis zur eigenen Arbeit
- Nachlassende Leistungsfähigkeit und Leiden darunter

Jeder und jede kennt diese Phänomene von sich selbst – und kann sie deswegen auch an sich selbst beobachten. Burnout droht nicht, wenn man so etwas gelegentlich erlebt, sondern nur dann, wenn die Grundmerkmale dauerhaft auftreten, wenn es zur Regel wird und den Alltag zu beherrschen beginnt. Es ist daher ein guter Einstieg für Betriebsratsmitglieder, über sich selbst und den eigenen Umgang mit Erschöpfung, Zynismus gegenüber der Arbeit und vieles mehr zu sprechen. So kann man Beschäftigten einen Weg aufzeigen, wie sie sich diese Erschöpfung und Depersonalisierung bewusst machen und damit umgehen können.

Burnout beginnt erfahrungsgemäß damit, dass man glaubt, Berge versetzen zu können. Man hat – scheinbar sehr – viel Kraft, und alle freuen sich, eine so aktive Kollegin, einen so belastbaren Kollegen zu haben. Ganz von selbst fließen so jemandem Aufgaben zu. Schließlich schützt man sich, indem man sich zurückzuziehen beginnt. Wenn im weiteren Verlauf der Rückzug und die zynische Abwertung den eigenen Alltag bestimmen, spätestens dann sollte man einen Experten, Arzt, Therapeuten, Coach oder Supervisor aufsuchen. Am Ende eines – bis zu sieben Jahre langen – Prozesses steht totale Erschöpfung. Man ist nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun, reagiert oft mit Depressionen, fühlt sich innerlich abgestorben und einige sehen nur noch im Selbstmord eine Lösung.

Burnout und die neue Organisation von Arbeit

Viele Burnout-Forscher schlagen vor, die neuen Formen der Arbeitsorganisation durchzusetzen. Viele von ihnen sprechen damit Arbeitgebern aus dem Herzen: Nach Meinung der Forscher liegt Burnout an mangelnder unternehmerischer Autonomie der Mitarbeiter in der Arbeit. Daraus resultiert ein zu geringes Maß an Engagement und. Engagement ist für sie das Gegenteil zu Burnout. Ihrer Ansicht nach muss man deshalb das Engagement fördern, indem die Beschäftigten durch Leitbilder und Leitsätze unterstützt werden, selbst zu entscheiden, was bei der Arbeit notwendig ist. Indem durch Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilung jeder Beitrag zum Unternehmen wertgeschätzt wird. Und indem durch Regeln des Umgangs miteinander und mit den Kunden, die Werte, für die das Unternehmen stehen, mit Leben erfüllt werden.

Im Unterschied zu den Überlegungen der Arbeitgeber fordern die meisten Burnout-Forscher jedoch zusätzlich eine Reduzierung des Arbeitsvolumens und des Drucks auf die Beschäftigten. Diese Forderungen nehmen Arbeitgeber nicht in gleicher Weise auf wie die nach veränderter Arbeitsorganisation. Ist Burnout aber in den Unternehmen, in denen diese Änderungen vorgenommen wurden, weniger verbreitet? Das Gegenteil ist der Fall: Burnout hat sich weiter ausgebreitet. Offenbar ist Burnout ein Ausdruck derselben Prozesse, die in den neuen Formen der Arbeitsorganisation in den Unternehmen sichtbar werden. Indirekte Steuerung als Ursache von Burnout

Das führt uns zur Hauptursache von Burnout: Wir arbeiten wesentlich besser, produktiver und effektiver als je zuvor. Diese gewachsene Produktivität ist eine gute Sache. Sie kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Arbeitgeber mehr und mehr Unternehmerfunktionen an die – organisiert zusammenwirkenden – Beschäftigten weitergeben, um ihre eigenen Gewinne zu erhöhen. Die Teams, die Gruppen und die Profitcenter werden durch Vorgaben (Budget, Marktsegment, Auftragsvergabepraxis, Renditevorgaben etc.) „indirekt gesteuert“. Die Unternehmensleitung bestimmt den Markt mit, indem diese organisiert zusammenwirkenden Einheiten sich zu bewähren haben. Sie modifiziert ihn so, dass die Beschäftigten mit gewachsener Produktivität und Profitabilität reagieren.

Die Auswirkungen auf die Beschäftigten liegen auf der Hand: Die persönlichen Beziehungen der Beschäftigten untereinander werden belastet mit dem Zweck des Unternehmens, Gewinne zu erzielen und/oder Kosten zu sparen. Die persönlichen Beziehungen dienen nicht nur der Arbeitsorganisation überhaupt, sondern sie werden darüber hinaus genutzt, um die Arbeitsorganisation möglichst durch die Beschäftigten selbst – im Dienste der Profitabilität des Unternehmens – effektiver zu gestalten. Der Arbeitgeber „spart“ dadurch Stellen in der Arbeit (er testet, wie belastbar die Beziehungen der Beschäftigten untereinander sind und baut so systematisch Arbeitsplätze ab) und den so genannten „Unternehmerlohn“, also Managementkosten.

Diese Form der Arbeitsorganisation ist sehr produktiv und hochprofitabel, hat aber die „Nebenwirkung“, dass die Beziehungen der Beschäftigten mit Gewichten belastet werden, die die einzelnen Arbeitnehmer nicht tragen können. Die Entfaltung der Gruppendynamik geschieht nicht unabsichtlich, sondern ihre Nutzung erhöht die Produktivität der Beschäftigten. Die Beziehungen, durch deren Eigendynamik (das eben ist „Gruppendynamik“) die Kolleginnen und Kollegen in diesem Umfang produktiv werden, bilden sich im Kopf als Emotionen ab. Das Nutzen dieser Eigendynamik führt die Beschäftigten deswegen zwangsläufig an den Rand der emotionalen Erschöpfung, an den Rand von Burnout, sofern sie sich dieser Gefahr nicht bewusst werden. Beschrieben wird dies von den Beschäftigten beispielsweise damit, dass sie „nicht abschalten können“, dass sie auch in der Freizeit unentwegt über die Arbeit nachdenken und dass persönliche Beziehungen am Arbeitsplatz wichtiger werden als private Beziehungen zu Hause. Das Wichtigste, was Betriebsräte gegen Burnout in ihrem Unternehmen tun können, ist diese innere Notwendigkeit, zu erkennen und anzuerkennen.

Gesundheits- und Sozialverantwortliche

Betriebsräte sollten weiterhin Arbeitnehmern die Möglichkeit verschaffen, sich mit der Verselbstständigung ihrer Beziehungen in der Arbeit oder eben mit der Gruppendynamik auseinanderzusetzen. Dazu empfehlen wir die Einrichtung einer spezifischen Verantwortlichkeit in teilautonomen Gruppen, in Teams und in entsprechenden Organisationsformen, die die gruppendynamischen und emotionalen Prozesse verfolgt, bewusst macht und in den Sitzungen der Gruppen, Teams etc. regelmäßig zur Sprache bringt. Dabei geht es vor allem um den Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Aufstellung, den unternehmerischen Funktionen der Gruppe, des Teams etc. einerseits und den emotionalen Prozessen der Beschäftigten, die in der Gruppe stattfinden andererseits. Nennen wir diese Personen „Gesundheits- und Sozial-Verantwortliche“. Diese „Gesundheits- und Sozial-Verantwortlichen“ werden von der Gruppe oder dem Team gewählt und können jederzeit durch die Wahl anderer Personen ersetzt werden. Sie beschäftigen sich vielleicht eine Stunde in der Woche mit den gruppendynamischen Prozessen und Beziehungen im Team bzw. in der Gruppe und ihrer Entwicklung. Sie sprechen ihre Ergebnisse in Teamsitzungen an und ermöglichen es den Beschäftigten auf diese Weise, ihre Beziehungen im Team unter sozialen und gesundheitlichen Gesichtspunkten zu bearbeiten. Die konkrete Ausgestaltung muss den unterschiedlichen betrieblichen Verhältnissen angepasst werden. Die „Gesundheits-und-Sozial-Verantwortlichen“ werden vom Betriebsrat für ihre Aufgabe qualifiziert, fortgebildet und regelmäßig angeleitet. Sie erfahren vom Betriebsrat insbesondere auch gesetzliche, tarifliche und in Betriebsvereinbarungen festgelegte Schutzbestimmungen und informieren darüber. Die Einrichtung dieser Verantwortlichkeit wirkt selbstverständlich nicht als Sofortortmaßnahme, sondern sie kann Burnout nur auf Dauer einschränken und möglichst überwinden. Sie ist überdies ein Mittel der Beschäftigten, sich mit den Grenzen der unternehmerischen Autonomie in der Arbeit auseinanderzusetzen und sich mehr und mehr individuelle Autonomie zu erkämpfen und zwar im Sinne des „Umgehen-Könnens mit der unternehmerischen Autonomie“. Da Burnout-Prävention nicht nur eine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe ist, kämen wir mit den „Gesundheits- und Sozial-Verantwortlichen“ der Erfüllung dieser Aufgabe einen deutlichen Schritt näher.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Betriebsräte haben starke Mitbestimmungsrechte gerade beim Gesundheitsschutz, von denen sie auch zur Durchsetzung eines betrieblichen Experten gegen Burnout Gebrauch machen können (vgl. Kasten der fehlt hier, bitte noch anhängen). Die zunehmende Verlagerung unternehmerischer Risiken auf die Beschäftigten steht ihrer Wahrnehmung nicht entgegen. Der Arbeitgeber kann deshalb die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht mit der Begründung zurückweisen, dass dies dem individuellen Willen der einzelnen Beschäftigten widerspräche. Die Rechtsprechung hat beispielsweise den Arbeitgeber dazu verpflichtet, Aufzeichnungen über die individuelle Arbeitszeit anzufertigen, obwohl er seine Aufzeichnungspflicht gem. § 16 Abs. 2 ArbZG den Beschäftigten arbeitsvertraglich im Rahmen von. Vertrauensarbeitszeit übertragen hatte. Genauso wenig, wie die Pflicht zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes individualisiert werden kann, kann der Arbeitgeber auch das Verlangen des Betriebsrats nach einem Experten gegen Burnout nicht zurückweisen mit der Begründung, dies sei kein betriebliches Problem, sondern nur das des einzelnen Beschäftigten. Zusätzliche Kosten wird der Arbeitgeber durch die Experten beklagen. Aber Mitbestimmung ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht kostenneutral. Der Betriebsrat kann also auch organisatorische Veränderungen, die mit zusätzlichen Kosten verbunden sind, durchsetzen. Außerdem sollte bei der Gesundheit zuletzt gespart werden!