Artikel im Kircheninfo, Mai 2017 des Verdi Fachbereichs 03

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Artikel aus dem Kircheninfo, Mai 2017 des Verdi Fachbereichs 03, S. 27


Indirekte Steuerung ... und was können wir tun? Von Martina Frenzel

Heute stehen betriebliche Interessenvertreter vor schwierigen Herausforderungen: Häufig stellen Kolleginnen und Kollegen die Verantwortung für ihre Arbeit, für Klienten und ihre Einrichtung über die eigenen Interessen. Dabei arbeiten sie anscheinend freiwillig länger oder sie setzen sich zunehmend gegenseitig unter Druck. Für ein Verständnis der Ursachen dieser Entwicklung ist der Begriff der indirekten Steuerung sehr hilfreich. Er erklärt wie, warum und mit welchen Folgen die Beschäftigten nicht mehr direkt durch Anweisungen, sondern indirekt, durch das Setzen von Rahmenbedingungen gesteuert werden.

Der Begriff der indirekten Steuerung wurde im Jahr 1998 von dem Philosophen Klaus Peters geprägt. Bereits in den 90er Jahren hatten er, Wilfred Glißmann (Betriebsratsvorsitzender bei IBM Düsseldorf) und Stephan Siemens bei IBM Düsseldorf neue Management-Formen analysiert und dies in interdisziplinären Arbeitsgruppen diskutiert. Die Unternehmen setzen auf Methoden der Selbstorganisation. Dies bedeutete nicht, dass sich die Beschäftigten SELBST organisieren - es geht den Unternehmen vielmehr um sich selbst organisierende Prozesse. Diese führen dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit Unternehmerfunktionen wahrnehmen müssen, was ihnen allerdings unbewusst bleibt.

Während anfangs die Auto-Industrie und der Bereich IT als führend für diese neue Form der Arbeitsorganisation angesehen wurden, hat sich die indirekte Steuerung heute in nahezu allen - auch mittelständischen - Unternehmen, Behörden, Einrichtungen durchgesetzt.

Doch welche Folgen hat dies für Beschäftigte?

Klaus Peters beschäftigte sich anschließend mit den Folgen für die einzelnen Kolleginnen und Kollegen: Durch die Verfolgung der unternehmerischen Interessen gefährden sie sich selbst. Er bezeichnete dies als „interessierte Selbstgefährdung“, der man durch gemeinsame Selbstreflexion begegnen kann. Der Soziologe Dieter Sauer beschrieb die organisatorischen Veränderungen in den Unternehmen. Peters und Sauer sahen die indirekte Steuerung als eine Übergangsform zur Freiheit der Individuen in der Arbeit an.

Der Philosoph Stephan Siemens stellte ab 2008 eine Verbindung zwischen indirekter Steuerung und einer zunehmenden Ausbreitung von Burnout her und er nahm die Ergebnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie auf: Gruppendynamische Prozesse in Teams werden durch indirekte Steuerung zunehmend für die Profitinteressen der Unternehmen und Einrichtungen genutzt. Stephan Siemens prägte den Begriff der „Ich-Wir-Struktur“ und „Das unternehmerische Wir“: Wir im Team nehmen Unternehmerfunktionen wahr und Ich, Du, Er, Sie - wir als Einzelne -müssen tun, was WIR uns vorgenommen haben. WIR haben mehr Macht als jeder Einzelne von uns und wir setzen uns gegenseitig unter Druck - Führungskräfte müssen diesen unmittelbar gar nicht mehr ausüben. Mit Kommentaren wie z.B. „Heute schon Feierabend?“ spornen wir uns gegenseitig an, die Arbeitszeit freiwillig zu verlängern. Das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung für die Versorgung der Klienten bringt uns zu Arbeitshochleistungen. Diese werden jedoch von den Einrichtungsleitungen nicht als solche gewürdigt, sondern als Ergebnis der geschickten Organisation der Arbeit angesehen. Aggressionen richten sich in Teams häufig nicht mehr gegen Führungskräfte, sondern gegeneinander - bis hin zu Mobbing.

Wie können wir der indirekten Steuerung begegnen?

Mit der Organisation der Arbeit durch den Arbeitgeber können wir uns nur durch eigenständige - gewerkschaftliche - Organisierung auseinandersetzen. Nur dann, wenn indirekte Steuerung breit diskutiert wird, können Gegenmaßnahmen beispielsweise im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchgesetzt werden.

Die Aktionen Ultimatum und Notruf im ver.di Fb 03 haben Ansätze dazu aufgezeigt: Aktives Handeln und gewerkschaftliche Organisation konnte hier mit einer Reflexion in den Teams verbunden werden. In einigen ver.di Fachbereichen laufen Kampagnen zu indirekter Steuerung an. Wenn die Interessenvertreter langfristig nicht als „Betriebspolizei“ zu Gegnern ihrer Kolleginnen und Kollegen werden wollen, müssen sie die Auseinandersetzung mit indirekter Steuerung selbst in die Hand nehmen und eine Reflexion der indirekten Steuerung auf allen Ebenen ermöglichen.

Langfristig können und müssen wir lernen, die Unternehmerfunktionen nicht nur im Interesse der Einrichtungen, sondern auch im eigenen Interesse wahrzunehmen. Wenn der Arbeitgeber den unternehmerischen Löffel abgibt müssen wir ihn nehmen – aber wir müssen auch Essen lernen.