Stress psychologisch betrachtet
Stress psychologisch betrachtet
Bei der physiologischen Betrachtungsweise geht es um physische Reaktion auf Stress. Ihre Grundlage ist: Die Wirkung von Stress ist im Prinzip bei allen Organismen gleich. Daraus kann man schließen: Wie bei den Tieren, so auch bei den Menschen. Diesen Schluss machten die psychologischen Stressforscher nicht mit. Sie beriefen sich darauf, dass die Tiere - wenn auch artspezifisch verschieden - der Art nach gleich auf belastende Situationen reagieren. Dagegen ließen sich bei Menschen deutliche individuelle Unterschiede in der Reaktion auf belastende Situationen feststellen. Diese Unterschiede wurden von der psychologischen Stressforschung auf die psychischen Prozesse zurückgeführt, die bei Stressreaktion eine Rolle spielen.
Man unterscheidet daher in der psychologischen Stressforschung zwischen dem Ereignis selbst und der Betrachtung des Ereignisses. Die psychologische Stressforschung bezieht sich in erster Linie auf die Art und Weise, wie die Ereignisse wahrgenommen werden.
Als Situationen, die Stress auslösen, gelten ein Schaden oder Verlust, eine Herausforderung oder eine Bedrohung. Dabei spielen die Einstellungen der einzelnen Individuen eine wichtige Rolle. Rechne ich mit der Anforderung? Habe ich das Vertrauen in meine Fähigkeiten, die Anforderung zu beantworten? Wann betrachtet ich eine Herausforderung als beantwortet? Welche Standards erwarte ich von mir? Wie schlimm oder wenig schlimm ist es, wenn ich meine Erwartung verfehle? Die Antwort auf solche Fragen gehen in die Bewertung einer Stress-Situation ein.
Zunächst erfasst ein gestresster Mensch, dass es sich um eine Bedrohung handelt und bewertet, was auf dem Spiel steht. Dann sucht er sofort nach Handlungsmöglichkeiten. Dabei ist der Unterschied der beiden Schritte ein logisch-gedanklicher (der erste ist die Voraussetzung für den zweiten). Es muss aber kein Unterschied in der Zeit sein. Dennoch unterscheidet man in der Forschung diese beiden Bewertungen als die erste und die zweite Bewertung, ob eine Situationen als stressend erlebt wird. Es geht jetzt also nicht mehr um die Frage, ob eine Situation für einen Organismus eine tatsächliche Bedrohung oder Gefahr darstellt, sondern ob eine Situation als Gefahr erlebt wird. (Lazarus distanziert sich ausdrücklich davon, dass die Vorstellung von der Wahrnehmung die Frage nach der Wahrheit dieser Wahrnehmung stellt.)
Gehen die Menschen - bewusst oder unbewusst - davon aus, dass sie in einer Gefahr sind, dass ihnen etwas droht, dass sie einen Verlust erleiden oder erlitten haben, so ergreifen sie Maßnahmen, sich mit dem daraus resultierenden Stress auseinandersetzen. Sie ergreifen Maßnahmen zur Bewältigung von Stress, im Englischen und damit in der Fachliteratur "Coping" genannt.
Man kann verschiedene Arten der Bewältigung von Stress-Situationen unterscheiden. Emotionsorientierte Bewältigungsversuche dienen der Abreaktion oder Mäßigung eines Misserfolges, wenn die produktive Bewältigung (noch) nicht gelungen ist. Problemorientierte Bewältigungsversuche sind darauf aus, die Kontrolle über die Situation zu gewinnen, die als Auslöser der Bedrohung gesehen wird. Diese beiden Formen lassen sich unterscheiden, aber im Regelfall treten sie beide miteinander verbunden auf.
Was ist eine belastende Situation? Kontrollverlust, Nähe einer Bedrohung, Unberechenbarkeit und Uneindeutigkeit einer Situation erscheinen als bedrohlich. Dabei hängt es sehr von der Persönlichkeit der Betroffenen ab, so sagen die Psychologen, welche Situationen sie als belastend empfinden. Insbesondere spielt es auch eine Rolle, ob man sich selbst für belastbar hält oder nicht: Eine bestimmte Selbsteinschätzung wirkt sich auch auf das tatsächliche Verhalten zu belastenden Situationen, und damit auch auf deren Bewertung als belastend aus.